ENPUNKT-Tagebuch
Es passiert einiges um mich herum, und nicht alles gefällt mir. Vieles fasziniert mich, vieles interessiert mich – und das soll Thema dieses Blogs sein.
19 September 2025
Ein Sonnengeflecht gehört
Dass das ziemlich komplex verlaufen kann, belegt die aktuelle Folge 53, die den Titel »Das Sonnengeflecht« trägt. Sie spielt auf zwei Zeitebenen: Während Dorian Hunters Freundin, die Hexe Coco Zamis, in der Gegenwart der Serie versucht, ihren verschwundenen Sohn wiederzufinden, wird die Vergangenheit lebendig: Georg Rudolf Speyer, eine frühere Inkarnation des Dämonenkillers, erzählt aus der Vergangenheit des 16. Jahrhunderts.
Das ist echt spannend, wenngleich streckenweise grob. Die Handlung spielt in Konstanz und Wittenberg, also in diversen Gegenden des deutschen Reiches. Die Inquisition ist wichtig und gefährlich zugleich, Hexen werden verbrannt. Doch es gibt tatsächlich Menschen, die mit dem Teufel und seinen Dämonen im Bunde stehen. Und es gibt den mysteriösen Doktor Faustus …
Das alles wird rasant erzählt, mit starken Geräuschen und knalligen Dialogen. Faszinierendes Gruselkino für die Ohren, allerdings nicht unbedingt für Neulinge geeignet – aber wer nun bei »Dorian Hunter« einsteigt, hat einen hochklassigen Horror- und Phantatik-Stoff vor sich!
18 September 2025
Über Gefühle schreiben
Als ich Ende des Jahres 1982 in einer wahren Welle einige Dutzend Texte schrieb, die ich mutig als »Gedichte« bezeichnete, dachte ich nicht daran, sie jemals zu veröffentlichen. Offenbar ging es mir eher darum, meine Ängste und Sorgen auszudrücken – ich war 18 Jahre alt und hatte keine konkreten Ziele für mein Leben.
Der Text »Hinter Mauern«, den ich auf ein A4-Blatt notiert hatte, ist dafür ein typisches Beispiel. Er stammt vom 5. November 1982; zumindest besagt das die Notiz. Rein inhaltlich finde ich den Text heute gar nicht schlecht, er ist vor allem angenehm kurz und kommt ohne allzugroßes Jammern aus.
(Das war damals in vielen Texten junger Gedichteschreiber üblich. Das lyrische Ich der frühen 80er-Jahre kommt mir mit dem Blick von heute sehr wehklagend vor.)
Hinter Mauern
Eingeschlossen in Salz,
in einem großen Block,
verbannt zur Bewegungsunfähigkeit.
Die Sinne sind erstorben,
die Gefühle verstummt.
Wir sehnen uns nach Liebe,
doch den Salzblock durchdringt
nur gespiegeltes Gefunkel.
Kein echtes Licht,
nur unwirklicher Abglanz.
17 September 2025
Vermüllung als Dauerthema
Ein aktuelles Beispiel entwickelt sich in der Nähe meines Arbeitsplatzes; ich stelle mein Auto häufig nur wenige Meter davon ab. Die Container werden mit Kleidung gefüllt, die in Säcken abgepackt ist. Gelegentlich kommt es vor, dass Menschen diese Säcke herausziehen und durchwühlen; womöglich suchen sie nach Kleidungsstücken, die sie nutzen können. Die aufgerissenen Säcke bleiben dann liegen.
Das bleibt aber nicht so. Recht schnell gilt das offensichtlich als Signal: Zu den aufgerissenen Säcken kommen Mülltüten, Kissen, Matratzen und andere Dinge. Es entsteht eine wilde Müllkippe, die wächst und gedeiht. Alte Stühle werden hinter den Container abgelegt, weiteres Gerümpel kommt hinzu.
Es geschieht nicht zum ersten Mal. Ist der Haufen groß genug, kommt irgendwann wohl die Stadtreinigung – oder sonst jemand – und räumt auf. Aber es vergehen nur wenige Wochen, bis das Spiel von vorne beginnt. Ich gestehe: Das verwirrt mich sehr …
16 September 2025
Künstlerische Umsetzung eines Klassikers
Da ich das Original nicht kenne, kann ich nicht beurteilen, ob die Geschichte gut umgesetzt wurde. Man versteht die Erzählung auf jeden Fall gut, taucht bei der Lektüre tief ein in die gehobene Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts und lernt wohlhabende Männer kennen, die nicht arbeiten müssen und ihre Zeit mit Müßiggang und Theaterbesuchen verbringen. Das alles wird mit einer gewissen Distanz erzählt, bei der es mich ein bisschen gruselt: Arbeitendes Volk findet nur am Rand statt, die Dialoge der wohlhabenden Männer stehen im Vordergrund. Homosexualität wird nicht offen angesprochen, ist aber offensichtlich ein Dauerthema im Hintergrund.
Umgesetzt wird das in Bilder, die wie gemalt wirken. Die Dekors sind schwelgerisch, die Häuser und die Kleidung der Personen sehen glaubhaft und sauber recherchiert aus. Cocominas, der mir bislang nicht bekannt war, schafft somit eine lebendige Szenerie, die durchaus Freude macht.
Dass ich die Geschichte nicht so richtig toll fand, lag an ihrem Inhalt, mit dem ich fremdelte – keine der Figuren war mir bei der Lektüre sympathisch – und nicht an der teilweise echt beeindruckenden Grafik. Hier gilt wieder einmal: Man schaue sich unbedingt die Leseprobe auf der Internet-Seite des Splitter-Verlags an!
15 September 2025
Der letzte Gong
Entscheidend ist, dass es mir in all den Jahren viel Freude bereitete. Die Gespräche über das Schreiben und Veröffentlichen, die Diskussionen über Science Fiction und Fantasy, Horror und Politik, Musik und Sport waren immer unterhaltsam und bereichernd. Ich nahm bei jedem Seminar einiges für mich selbst mit und hoffte stets, dass die teilnehmenden Personen ebenfalls profitierten.
Nach dreißig Jahren hörte ich an diesem Wochenende auf. Man ermunterte mich, noch einmal an den großen Pausengong zu gehen und ihn zu betätigen. Das tat ich gern; das hatte ich immer gern getan. Die beiden Bilder, die Olaf Brill geschossen hat, belegen das.
Es war tatsächlich der letzte Gong. Nach dreißig Jahren habe ich aufgehört. Ich bin tatsächlich traurig, auch deshalb, weil das Seminar im Wochenende mit seinen starken Autorinnen und Autoren so gut gelaufen ist. Aber es ist und war richtig, nach all der Zeit einen Strich zu ziehen.
Mit einem letzten Gong eben …
11 September 2025
An der Bäckereitheke
»Da erfährst du morgens, dass du allein bist«, sagte sie einem Mann, der auf der anderen Seite stand, einen Meter von mir entfernt Er führte einen Einkaufswagen mit sich, der randvoll mit Grundnahrungsmitteln war. Er hatte im Supermarkt eingekauft und besorgte sich – wie viele andere – hinterher noch Brot und Brezeln. »Die eine ist im Urlaub, das ist schon schwer genug, dann wird die andere krank, und ich bekomme keinen Ersatz.«
Sie sprach den Dialekt der Gegend, und sie klang, als komme sie aus dem Dorf, zu dem der Supermarkt gehörte. Kurz sah sie mich an, ob ich mich vielleicht ins Gespräch mischen wollte, dann redete sie sich weiter in Fahrt.
»Man wird halt von morgens bis abends beschissen, nichts klappt, und niemand sagt einem Bescheid«, sagte sie in rasendem Wortschwall. »Ich kann nicht mal aufs Klo. Die Kunden stehen Schlange, ich muss ständig nachfüllen und daneben auch noch Brötchen und Brezeln aufbacken. Dann kommen Leute, die wollen einen Kaffee, und andere, die wollen etwas aufgebacken haben. Ich komm‘ nicht mal dazu, so richtig Luft zu holen.«
Mit fahrigen Handbewegungen kassierte sie den Mann ab, während sie redete, und gab ihm dann das Wechselgeld zurück. Der Mann trug eine schwarze Jeans und einen schwarzen Kapuzenpullover mit irgendwelchen Logos, die ich nicht erkannte; seine Haare waren grau und fielen ihm tief in den Nacken.
»Da kannst du nichts machen«, sagt er lakonisch, als er das Geld einsteckte. »Das ganze Land rutscht ab, wir gehen alle vor die Hunde, aber das kümmert ja niemanden.«
Er sah mich an, als ob ich dazu etwas sagen sollte. Ich hatte meinen »Interessiert mich nicht«-Blick aufgesetzt und blickte ihm ausdruckslos in die Augen. Fast erwartete ich schon, dass einer der beiden die AfD lobpreisen oder zum Sturz der Regierung aufrufen würde. Dann hätte ich vielleicht etwas gesagt, aber ich wusste nicht, was die beiden von mir hören wollten.
Vielleicht sollten Leute aus der Politik sich ab und zu mal in eine Bäckerei stellen und den Leuten zuhören, dachte ich dann, trat näher, begrüßte die Verkäuferin und gab meine Bestellung auf.
10 September 2025
Gelungene Gesellschaftssatire
Alles könnte so schön sein … doch dann fängt ein Maulwurf an, den Garten umzugraben.
Mark Spörrle schrieb den Roman »Der Maulwurf«, den ich als Lektüre für den Sommer empfehlen möchte. Der Autor ist vor allem als Journalist tätig, er arbeitet für die Wochenzeitung »Die Zeit« und schreibt quasi nebenbei seine Bücher. Damit war er schon erfolgreich, denn ihm gelingt offenbar immer wieder, den teilweise abstrusen Alltag auf ironische Weise in Geschichten zu verpacken.
Das schafft er bei diesem Roman auch. Die Geschichte einer Kleinfamilie, die sich auf dem Land mit den Nachbarn anfreunden muss, die an verschiedenen Stellen aneckt und von einem Maulwurf sehr gestresst wird, ist sehr lustig erzählt und macht bei der Lektüre große Freude.
Spörrle spitzt die Lage immer weiter zu, er schildert sie amüsant und mit der richtigen Dosis an Übertreibung. Beim Lesen musste ich immer wieder schmunzeln, manche der geschilderten Szenen stecken voller Komik, die manchmal an eine Slapstick-Komödie erinnert.
Der Autor nutzt geschickt die »Fallhöhe« seiner Figuren. Sowohl der Mann als auch die Frau kommen aus dem bürgerlichen Mittelstand; sie halten sich für politisch korrekt und ordentlich. Sie wollen Freunde und Nachbarn beeindrucken, sie leben gut mit sich und ihrer liberalen Weltsicht. Schwierig wird es dann, wenn die Weltsicht auf die Realität trifft und beispielsweise ein Maulwurf alle Pläne zunichtemacht, einen schönen und trotzdem naturnahen Garten zu haben.
Mir gefielen an dem Roman vor allem die Szenen, in denen die Erwachsenen sich ihrer Realität stellen müssen: Während er sich um seine Karriere in der Firma sorgt, plant sie ihre Karriere mit Podcasts. Dabei bekommen sie kaum mit, was die Tochter in ihrer Freizeit macht …
Das alles beschreibt der Autor mit großem Vergnügen am Detail: Er scheint aus persönlichem Erleben oder Beobachten zu wissen, wie Firmen funktionieren und sich Teenager entwickeln.
»Der Maulwurf« ist sicher kein Roman für die Ewigkeit. Er gibt allerdings einen wunderbaren Einblick in das Deutschland in der Mitte der zwanziger Jahre, ist sehr unterhaltsam und locker geschrieben und bietet immer wieder sarkastische Seitenhiebe. Wer noch einen unterhaltsamen Roman für den Sommer sucht, sollte zugreifen. Hier geht es direkt zur Leseprobe.
Er erschien zu Beginn des Jahres 2025 als schön gestaltetes Paperback und umfasst 352 angenehm bedruckte Seiten. Mithilfe der ISBN 978-3-453-42983-3 kann man »Der Maulwurf« überall im Buchhandel bestellen,.
(Die Rezension erschien im August auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie und wird an dieser Stelle aus dokumentarischen Gründen wiederholt.)
09 September 2025
Realistische Comic-Kurzgeschichten
So beginnt die Kurzgeschichte »Sunshine Dity«, die dem gleichnamigen Comic-Band den Titel gibt. Veröffentlicht wurde das Buch bereits 1989 im Feest-Verlag, und ich las das Album dieser Tage noch einmal. Geschrieben und gezeichnet wurde es von Will Eisner, der mit seimem »Spirit« einen echten Comic-Klassiker schuf und mit »Vertrag mit Gott« die vielleicht erste Graphic Novel überhaupt veröffentlichte – bis heute übrigens einer meiner liebsten Comics.
Bei »Sunhine City« handelt es sich um eine Sammlung von Kurzgeschichten, die zwischen den 30er- und 80er-Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts spielen, meist in New York. Sie erzählen von einfachen Leuten und ihren Problemen, haben aber auch mal einen phantastischen Charakter oder spielen mit den Elementen eines Krimis – damit entsteht eine sehr unterhaltsame Abfolge von Geschichten.
Eine richtig lange Erzählung zeigt die Entstehung der Comic-Studios in den dreißiger Jahren. Die Hauptfigur dürfte Will Eisner seinem früheren Ich nachempfunden haben; die Erzählung steckt voller Details und spiegelt die Zeit somit sehr gut wider.
Zeichnerisch bleibt Eisner dem Stil treu, den er schon bei »Vertrag mit Gott« eingesetzt hat: Die Zeichnungen basieren auf einem harten Schwarzweiß-Kontrast, Grautöne oder gar Farbe werden vermieden. Sie sind realistisch, zeigen vor allem die Mietshäuser und die Straßen sehr klar und deutlich, rutschen bei den Gesichtern leicht in die Karikatur ab, sind insgesamt aber stark: Die einzelnen Charaktere treten klar und deutlich hervor, jede Figur ist ein Individuum, das für sich steht und spricht.
»Sunhine City« ist ein richtig guter Comic-Band, der seit seinem ersten Erscheinen in den 80er-Jahren nicht gealtert ist und den man immer wieder in die Hand nehmen kann. Sehr schön!
08 September 2025
Ein besonderes Gebäude
Der Mann mit Bart telefonierte mit jemandem, und er hatte sein Telefon auf laut gestellt; so bekam ich jedes Wort mit. »Jetzt geht es los!«, rief er begeistert.
Ich verstand nicht, was er meinte, und sah abwechselnd zu ihm und zu dem Gebäude, auf das er seine Aufmerksamkeit richtete. Es war offensichtlich ein Gefängnis, wie mir auf einmal bewusst wurde, und in seinem Innern hatte ein Aufstand begonnen. Rauch stieg auf, Sirenen ertönten, aus dem Telefon drangen aufgeregte Stimmen.
»Das ist so geil!«, schrie der Mann mit Bart neben mir und sprang auf und ab.
Die Sirenen in dem Gebäude unterhalb des Hügels wurden lauter; dann schien es auf einmal im Boden zu versinken. Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen: Offenbar hatten sich allerlei Luken geöffnet, durch die das Gebäue langsam in die Tiefe sackte. Und als es weit genug im Untergrund verschwunden war, schoben sich aus der Seite irgendwelche Teile, die das Loch verschlossen.
Es vergingen nur wenige Augenblicke, dann war das Gefängnis aus meinem Blickfeld entfernt. Eine Rasenfläche mit einigen Büschen bedeckte die Stelle, wo sich vorher das Gebäude befunden hatte.
Ich war völlig verwirrt. »Was soll denn das?«, murmelte ich. Dann wachte ich endlich auf.
05 September 2025
Zwischen L. A. und Texas
Aktuell beschäftigte ich mich mit der Folge, die die Nummer 150 und den Titel »Eisherz« trägt und in den USA spielt, genauer gesagt, auf der Straße zwischen Los Angeles und einer Klinik in Texas sowie in der Klinik selbst. Dort soll der Freundin des Geisterjägers John Sinclair ein neues Herz eingesetzt werden. Das geht natürlich nicht ohne Komplikationen. Und so entwickelt sich die Handlung auf zwei Erzählebenen bis zu ihrem knalligen Höhepunkt einigermaßen folgerichtig.
Einige der Szenen sind echt brutal; Ghoule spielen schließlich mit, und die essen nun mal gerne Leichen. Geballert wird ebenfalls viel: Amerikanische Soldaten versuchen verzweifelt, einen riesigen Truck zu stoppen, der mit Benzin befüllt ist und über die Autobahn rast. Woher dann auf einmal ein magischer Schutzschirm kommt, der Schüsse ins Nichts leitet oder gar zurückwirft, und warum der nicht bei anderen Gelegenheiten von den Bösewichten eingesetzt werden kann, ist mir ein bisschen schleierhaft – aber zur Handlungslogik schrieb ich eingangs ja schon etwas.
Die Handlung an sich verläuft erwartbar, die Helden siegen am Ende. Es gibt sogar einen Hang zur Eigenironie; mir ist ein echter Insiderwitz aufgefallen: »Diese Folge wurde noch nicht vertont«, heißt es, als die Helden über etwas sprechen, das sie offensichtlich nicht nicht wissen können …
Nett. Wie immer gut gemacht, was die Sprecher und die Geräusche angeht!
04 September 2025
Bei Manu auf der Straße
Einige Tische standen auf der Straße, an denen Leute saßen, miteinander redeten, viel lachten und tranken. Im Innern der klein wirkenden Räumlichkeiten war niemand. Aber der erste Eindruck war der eines Ortes, an dem die Stimmung gut und die Gäste trinkfest waren.
»Chez Manu« war das, was meiner Vorstellung von einer Wein-Bart am nächsten kommt. Der Besitzer erwies sich als großer Mann mit Bauch und längeren grauen Haaren, der viel lachte und viel Wein trank, der ständig rauchte und mit allen Gästen gleichzeitig im Gespräch zu sein schien. Er trug ein verwaschenes schwarzes T-Shirt mit dem Logo einer Metal-Band, eine Jeans, deren Schwarz bereits verblichen war, und schwarze Stiefel, die in ihrem früheren Leben vielleicht einmal bei einer Armee zum Einsatz gekommen waren.
Der Wein, den er ausschenkte, war sehr gut, nicht unbedingt preiswert. Man konnte bei ihm natürlich auch ganze Flaschen bestellen, wir hielten uns an kleine Gläser mit Weißwein aus der Region und tranken uns vorsichtig durch die Karte. Wasser zum Trinken gab es keins: Er habe doch hier eine Wein- und keine Wasser-Bar, machte Manu uns klar.
Immerhin gab es zu essen: Wir bestellten einen Teller mit Käse, mehr nicht. Was wir bekamen, war ein großes Vesperbrett mit leckeren Käsestücken aus verschiedenen Regionen Frankreichs, die wir uns probieren konnte und die allesamt überzeugten. Dazu reichte er Brot, bei dem er auch nachlieferte, nachdem wir das erste Körbchen leergefuttert hatten. Am Ende waren wir pappsatt.
Es war ein richtig schöner Abend vor dieser Weinbar. Wir lachten viel, wir aßen und tranken, die Flugzeuge donnerten dicht über unsere Köpfe hinweg – zumindest gefühlt –, und irgendwann gewöhnten wir uns fast schon an sie. Der Weg zurück zum Hotel war dann nicht ganz einfach, glückte aber.
03 September 2025
Ein Boxer mit feiner Ironie
Unter anderem verfasste er Geschichten, die im Boxer-Milieu spielten. Diese bietet der Blitz-Verlag in einem Sammelband an, der den schlichten Titel »Steve Costigan – Seemann und Boxer« trägt und als Taschenbuch erschienen ist. Und um es gleich vorwegzunehmen: Die Übersetzung ist leider streckenweise nicht gut, und das Lektorat war auch nicht optimal. Das verdarb mir gelegentlich die Lektüre ganz schön.
Dabei sind die Geschichten an sich unterhaltsam und auf ihre schlichte Art spannend. Steve Costigan ist Matrose und reist mit einem Schiff über die Weltmeere. In den Häfen lässt er sich auf Boxkämpfe ein, häufig, weil er vorher provoziert worden ist. Die Kämpfe werden als sehr hart geschildert: Blut spritzt, Knochen brechen, Gegner gehen verletzt zu Boden.
Howard schafft es, diese Kämpfe sehr realistisch zu zeichnen. Auf eine inhaltliche Distanz verzichtet er. Costigan erzählt in der Ich-Perspektive – außer in der letzten Geschichte des Bandes, in der er nur eine Randfigur ist –, wodurch ein starkes Gefühl für die Realität aufkommt.
Dabei zeigt sich Costigan als ein ziemliches Großmaul, der sich selbst für einen großen Boxer hält und ständig in Raufereien gerät. Das ist amüsant zu lesen, weil der Charakter bei aller Schlichtheit nicht so superheldenhaft erscheint.
Moralisch wird vor allem die letzte Geschichte, in der ein anderer Boxer die Hauptrolle spielt. Bei ihm spielt im Hintergrund eine unglückliche Liebe mit, und diese Geschichte erscheint geradezu vielschichtig.
An heutigen Maßstäben kann man Robert E. Howard nicht messen. In seiner Zeit mussten Autoren in der Unterhaltungsbranche sehr schnell und sehr viel schreiben. Das schaffte der Schriftsteller auf vielen Gebieten – auch als Autor von Boxgeschichten. Wer Howard mag und mehr über ihn wissen möchte als nur die »Conan«-Geschichten, sollte sich dieses Taschenbuch zulegen.
02 September 2025
Die Show feierte ein Jubiläum
Tatsächlich ist der Film ja viel älter; er kam im August 1975 in die Kinos, konnte in diesen Tagen also seinen fünfzigsten Geburtstag feiern. Dass es zu diesem Film eine Vorgeschichte gab, die bereits 1973 in einem Theater in London begonnen hatte, wusste ich damals natürlich nicht. So etwas kann man heute problemlos in der Wikipedia oder einschlägigen Film-Seiten im Netz nachlesen; damals war das kein allgemein verfügbares Wissen.
Ich erinnere mich, dass ich den Film beim ersten Mal verwirrend fand. Die queeren Szenen verstörten mich nicht, ich fand sie eher schräg und witzig. Aber weil mein Englisch so schlecht war, verstand ich die Dialoge teilweise schlicht nicht. Die Handlung erschloss sich trotzdem – und unterm Strich war’s für mich eben ein besonderer Science-Fiction-Film.
Bis heute habe ich den Film erstaunlich gut im Gedächtnis. Ich könnte ihn sicher weder mitsprechen noch die Lieder mitsingen, aber die wichtigsten Szenen kenne ich alle noch. Ob ich ihn mir einmal wieder anschauen würde? Vielleicht wäre es mal angebracht – mehr als vierzig Jahre nach dem ersten Mal …
01 September 2025
Ein Tag in der Touristenstadt
Einmal aber musste dann doch der Ausflug in die nahe gelegene Stadt Rethymno sein. Mit dem öffentlichen Bus ging es flott dorthin, entlang der Küste war das Gefährt teilweise ordentlich vollgestopft. Da ich es schätze, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, empfand ich das als unterhaltsam; es ist immer wieder nett, anderen Leuten zuzuschauen.
Rethymno selbst erwies sich als ausgesprochen hübsch. In der Stadt gibt es viele alte Häuser zu bewundern, die alte Zitadelle besichtigte ich sogar. Ansonsten bummelte ich durch die Straßen und Gassen, nahm das eine oder andere Getränk zu mir und guckte sogar in den einige Läden hinein.
Man merkt auf Schritt und Tritt, dass die Stadt und ihre Umgebung vom Tourismus leben; nicht allein, das ist klar, aber zu einem großen Teil. Andenkenläden und Souvenir-Shops gab es reichlich, man kam überall mit ein bisschen Englisch durch.
Trotzdem fand ich die Stadt nicht »übertouristisch«, sondern immer noch lebenswert. Abends dürften die Straßen auch anders aussehen als tagsüber ...
Auffallend waren die vielen Parolen, die Freiheit für Gaza oder ein Ende des aktuellen Krieges forderten; der ist von Kreta nicht so weit entfernt wie bei uns. Ich sah Plakate, die in englischer Sprache und mit hebräischen Schriftzeichen – womöglich die gleiche Aussage – die israelischen Urlauber beleidigten, die es auf Kreta auch gab.
Ignorierte man die politischen Aussagen, war Rethymno eine hübsche Stadt, in der man sich gut bewegen konnte, auch wenn viel los war. Ich bereute den Ausflug nicht, war dann aber sehr froh, am späten Nachmittag wieder am Strand auf der Liege herumdösen zu können ...
15 August 2025
Fahrrad und Lieferwagen
Kaum war der Lieferwagen an mir vorbei, setzte er bereits seinen Blinker. Ich ging davon aus, dass er in die Akademiestraße abbiegen wollte, und ging auf die Bremse. Wenn ich etwas nicht brauchte, weder am frühen Morgen noch sonstwan, war es ein Duell mit einem motorisierten Fahrzeug.
Noch während ich langsamer wurde und noch während der Lieferwagen vor mir in das eigentliche Abbiegen überging, schoss von hinten ein Fahrrad heran. Der Fahrer – ein rundlicher Typ mit grauen Haaren und grauem Bart – fuhr mit hohem Tempo links von mir vorbei, schien sogar noch zu beschleunigen und fuhr dann direkt vor dem abbiegenden Lieferwagen weiter.
Der Lieferwagenfahrer trat in die Bremse und hupte; ich hielt auch an. Während ich mit erhöhtem Puls stehenblieb, hörte ich mir die Kanonade an Schimpfwörtern an, die der Fahrer von sich gab. Aber ich wartete brav, bis er abgebogen war, bevor ich wirklich weiterradelte …
14 August 2025
Dilettantische Werbung
Besonders schön zeigt das die Werbung, die ich für die Ausgabe drei meines Fanzines produzierte und die in verschiedenen Fanzines veröffentlicht wurde. Aus Gründen, die mir heute nicht mehr einleuchten, glaubte ich offenbar, besonders viele Informationen in dicht gedrängter Schreibweise auf eine Seite packen zu müssen, das wiederum garnierte ich mit einem schlecht reingeklebten Bild und einer Schreibmaschine, die kein brillantes Schriftbild erzeugen konnte.
Der Werbespruch an sich war gut: »SAGITTARIUS setzt neue Maßstäbe« – vielleicht hätte man es bei den rein werblichen Aussagen lassen sollen. Aber ich brauche mich nicht zu sehr zu grämen: Schaue ich mir andere Anzeigen an, die in meiner fannischen Vergangenheit produziert worden sind, sehen die ebenfalls nicht gerade aus, als hätten die jeweiligen Fanzinemacher viel Ahnung von grafischer Gestaltung gehabt …
13 August 2025
Lektüre im Keller
Vom Marktplatz aus spazierten wir zum Kaufhaus, wo uns später mein Vater mit dem Auto abholen würde – er hatte gegen 16 Uhr Feierabend und kam von der Baustelle. In Zeiten ohne Telefon mussten solche Verabredungen exakt sein, und sie wurden auch exakt eingehalten.
An diesem Tag traf sich meine Mutter mit einer anderen Frau, die sie seit langem kannte. Gemeinsam gingen sie – ich stets im Schlepptau – ins Café des Kaufhauses. Dort saßen wir zu dritt an einem Tisch: Die beiden Frauen tranken Kaffee und unterhielten sich über gemeinsame Bekannte, ich aß ein Stück des leckeren Apfelkuchens.
Anfangs war ich damit beschäftigt, die prächtige Einrichtung zu bewundern. Das Café war schick, zumindest für eine kleine Stadt wie die unsere. Es war mit viel Holz eingerichtet, Messing glänzte, und der Fußboden schimmerte in schwarz und weiß. Die Bedienungen trugen weiße Blusen und schwarze Röcke, dazu Schürzen mit Stickereien.
Irgendwann langweilte ich mich. Weil ich ohnehin pinkeln musste, fragte ich meine Mutter, ob ich aufs Klo gehen könnte. Sie zeigte mir den Weg zur Toilette – »da vor, dann die Treppe hinunter«, bevor sie mich mit wichtigen Ermahnungen, ich solle nicht so schnell laufen, gehen ließ.
Während ich durch das Café ging, sah ich staunend den Leuten zu. Die meisten waren gut gekleidet; die Männer trugen Anzüge, die Frauen ihre schönsten Kleider. Wenn man in ein Café ging, zog man sich »anständig« an; so war das in den späten 60er-Jahren.
Weil ich mir das Lesen schon selbst beigebracht hatte, obwohl ich noch nicht in die Schule ging, las ich alles, was Buchstaben hatte. Ich entzifferte große Werbeaufdrucke und freute mich darüber, das Schild »Toiletten« ebenfalls lesen zu können. Ich ging die Stufen hinunter, meine Schritte hallten in dem großen Treppenhaus wider. Dort betrat ich den Bereich, der für Männer vorgesehen war.
Direkt nach dem Eingang hing ein Automat an der Wand, mit dem sich ein Mann herumplagte. Er schlug gegen die Seite des Automaten, er schimpfte wütend. Anscheinend hatte er Geld hineingesteckt, es war aber nichts herausgekommen. Als er mich sah, verstummte er.
Ich betrat eine Kabine. Weil ich noch zu klein für die Pissoirs war, die von den Erwachsenen genutzt wurden, hatte mir meine Mutter beigebracht, mich im »großen Klo« so hinzustellen, dass ich die Schüssel traf und nichts daneben ging.
Während ich mein Geschäft verrichte, hörte ich den Mann am Automaten schimpfen. Ich verstand einige der Kraftausdrücke, mehr nicht; dann schlug er gegen den Automaten und ging mit stampfenden Schritten die Treppe hinauf.
Nachdem ich in der Kabine alles erledigt hatte, wusch ich mir die Hände am Waschbecken, das für meine Größe viel zu hoch angebracht war. Dann bummelte ich neugierig zu dem Automaten hinüber, über den der Mann sich so aufgeregt hatte.
Auf dem Automaten stand in großen Buchstaben das Wort »Hygiene«. Das verstand ich, es ging also um Sauberkeit. Meine Mutter redete auch von »Hygiene«, wenn sie mich ermahnte, die Hände mit Seife zu waschen. Die bunten Bilder auf dem Automaten verstand ich nicht, ich erkannte aber, dass eines der silbernen Fächer unten offen stand.
Ich zog es vollends auf und hatte auf einmal eine Packung in der Hand. Sie war bunt bedruckt, und wieder stand etwas von »Hygiene« darauf. Das sah interessant aus, vielleicht war das etwas, das wir auch daheim benutzen konnten. Wenn man es schon vor der Toilette in einem Automaten anbot ...
Als ich von oben Schritte hörte – es kam also jemand die Treppe herunter! –, steckte ich die Packung spontan in die Hosentasche. Dann machte ich, dass ich aus dem Keller hinauskam.
Ich eilte in die obere Etage und ging schnell zu dem Tisch, wo meine Mutter sich immer noch mit der anderen Frau unterhielt. Dass ich länger weggeblieben war als üblich, schien sie nicht bemerkt zu haben.
»Guck mal, Mama«, sagte ich stolz und trat näher an den Tisch heran. »Ich hab dir was mitgebracht.«
Und mit einer Geste, mit der ich sonst vielleicht ein Geschenk zum Geburtstag übergeben würde, legte ich die Packung mit Kondomen auf den Tisch, genau zwischen meine Mutter und die mir unbekannte Frau.
12 August 2025
Anthologie mit erotischen Comics
Die meisten Namen der beteiligten Künstler beiderlei Geschlechts sagten mir gar nichts. Außer von Dave McKean hatte ich bislang von keiner der Personen einen Comic im Gedächtnis. Das ist aber auch kein Kriterium, entscheidend sind ja die Geschichten und die Bilder – das Buch ist durchgehend in Schwarzweiß, die stilistischen Unterschiede sind trotz der einheitlichen Farbgebung sehr hoch.
Gezeigt werden verschiedene Arten von Erotik, vom Masturbieren bis zum Analsex. Manche Comics halten sich zurück, bei manchen sind die Bilder sehr deutlich. Die Grenze zur Pornografie ist da eindeutig überschritten, das ist schon sehr knallig und direkt.
Ich fand aber keine der Geschichten abstoßend oder blöd. Sie hatten alle ihren Charme und zeigten eben erwachsene Menschen bei allerlei sexuellen Handlungen.
Künstlerisch überzeugte mich nicht jede Geschichte. Manche waren mir zu schlicht, viel zu schnell »runtergepinselt«, als dass ich sie hätte gut finden können. Aber das wiederum ist ja eine Geschmackssache. (In solchen Fällen ist es besonders wichtig, den Comic im Laden durchzublättern oder sich zumindest die Leseprobe genau anzuschauen.)
Interessanter Comic-Band in einem »kleineren« Album-Format!
11 August 2025
Peter und die neue Welle
Zum Zeitgeschehen jener Tage zählte aber auch, dass sich innerhalb der Hardcore- und Punkrock-Szene wieder mal Änderungen vollzogen. Was in den 90er-Jahren als Newschool-Hardcore oder Emocore aufspielte, war nicht immer nach meinem Geschmack, um es höflich zu formulieren, und das Pubikum fand ich oftmals grausig. Aber diese »ganz neue Welle« war oftmals interessanter als der tausendste Aufguss von Stilrichtungen, die aus den 80er-Jahren stammten.
Und so spielt in der Folge 56 meines Fortsetzungsromans, die in der Ausgabe 181 des OX-Fanzines veröffentlicht worden ist, ein Emocore-Konzert eine Rolle. In der wirklichen Welt und in meiner echten Vergangenheit gab’s Konzerte dieser Art in einem Ort in der Pfalz; für den Roman verlegte ich die Handlung in einen Vorort von Karlsruhe. Ich hoffe, das ist trotzdem alles kapierbar.
Die Szenerie habe ich übrigens wirklich so in Erinnerung: Konzerte wurden in den Räumlichkeiten eines Kindergartens veranstaltet, und Bier gab’s keines. Aber so war das halt manchmal in den 90er-Jahren …
08 August 2025
Die Sterne in Karlsruhe
Deshalb wollte ich in diesem Jahr unbedingt anwesend sein. Ich war einigermaßen zeitig auf dem Werderplatz in Karlsruhe, reihte mich frustriert in die Schlange von wartenten Menschen ein, die sich über den halben Platz zog, und hatte glücklich. Ich war die letzte oder vorletzte Person, die noch in den Club gelassen wurde.
Die Band fing gegen neun Uhr an, der Saal war sehr voll. Beim »Kohi« heißt das, dass vielleicht 250 Leute anwesend waren und jede Person trotzdem ein bisschen Raum um sich herum hatte. Man wurde also nicht gequetscht. Trotzdem kam schnell Bewegung in den Raum, auch wenn keine Pogo-Stimmng aufkam – bei der Musik wäre das ja auch verwerflich gewesen.
Das Publikum war gemischt, von 17 bis 67 sagte ich irgendwann. Es waren echt einige Teenager da, aber natürlich auch haufenweise Grauhaarige, Leute dazwischen, die ich in den 90er-Jahren durch den Slamdance irgendwelcher Jugendhäuser gedroschen hatte und deren Haare jetzt langsam auch grau wurden. Aber alles waren bester Laune, alle lächelten und strahlten, und bei manchen Liedern war das Publikum unglaublich textsicher.
Was die Musik und die Texte anging, machten Die Sterne nichts falsch. Man spielte die großen Hits, es gab selbstironische Ansagen, und die gute Stimmung aus dem Publikum übertrug sich auf die Band und wieder zurück. Eineinhalb Stunden später verließ ich das »Kohi« in bester Laune – dieser Abend hatte sich echt gelohnt.
07 August 2025
Dreißig Jahre nach dem Chaos
Mir wird wieder klar, wie verzerrt die Berichterstattung in der Presse ist, auch diesmal wieder, und wie die Journalisten ohne Nachfragen die Aussagen der Polizei übernehmen. So werden die Lügen von damals eins zu eins übernommen und in die heutige Zeit übertragen. Das finde ich ziemlich ärgerlich, aber es ist ein nachvollziehbares Verhalten.
Einige kurze Rückblicke …
Die ersten Tage waren chaotisch, aber weitgehend friedlich. Sowohl am Mittwoch als auch am Donnerstag erreichten bei schönstem Sommerwetter Hunderte von Punks aus ganz Deutschland und europäischen Ländern die niedersächsische Landeshauptstadt. Überall traf man auf Punks, die Stimmung war gelöst und friedlich.
Ich erinnere mich an die Polizei, die uns ab Donnerstagmittag brachial aus der Innenstadt vertrieb. Der Versuch, sich in die Parks zu begeben, scheiterte; man trieb uns buchstäblich in der Nordstadt zusammen. Leute wurden verhaftet und grundlos zusammengeschlagen. Dann wurden zur Verteidigung die Barrikaden errichtet, bald brannten bald die ersten Autos, zuletzt scheiterten die Angriffe der Polizei.
Ich erinnere mich an das euphorische Gefühl an diesem Abend. Ein Punk malte mit weißer Farbe »nazi- und bullenfreie Zone« auf den Asphalt; die Szenerie war friedlich und fröhlich. Überall wurde gefeiert, überall waren Punks auf der Straße.
Ich erinnere mich daran, am Freitagnachmittag auf offener Straße verhaftet zu werden. Ohne Begründung, »einfach so«. Wir kamen nach Langenhagen in eine große Lagerhalle; 1300 Leute auf zwei Etagen, auf verdrecktem Beton und anfangs ohne etwas zu essen und zu trinken. (Später gab es Leitungswasser und kalte Fertignahrung aus Bundeswehrbeständen.)
Ich erinnere mich an die skurrile Stimmung im »Punker-Lager«, an den Aufruhr, der ausbrach, als Brandsätze von außen auf das Gelände geworfen wurden, und an den Aufruhr, der losbrach, als es hieß, ein Mädchen sei bei einem Angriff der Polizei ums Leben gekommen. (Das stellte sich als Falschmeldung heraus.)
Ich erinnere ich, wie ich am Samstagabend mit dem Bus zum Hauptbahnhof gefahren und dort quasi gleich wieder interniert wurde, wie ich dann mit dem Taxi in die Nordstadt fuhr, wie ich mich dann zu Fuß und mit meinem eigenen Auto in einer chaotischen Nordstadt umsah, in der sich die Polizei in Hundertschaften wie in einem Feindgebiet bewegte, während überall Steine und Flaschen flogen.
Und ich erinnere mich an den Tag darauf, als wir durch die Nordstadt von Hannover zogen: Berge von Gerümpel auf den Straßen, der Penny-Mark geplündert, aber keine einzige Scheibe eines Privatwohnhauses auch nur angekratzt. Keine Polizei auf der Straße, nur Punks und Anwohner, und alles war wieder friedlich …
06 August 2025
Beeindruckender Klassiker, starke Graphic Novel
Die Handlung von »Herr der Fliegen« dürfte bekannt sein: Eine Gruppe von Kindern, allesamt Jungs, strandet nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel. Weil keine Hoffnung besteht, dass sie schnell gerettet werden, bauen die Jungs eine Art Zivilisation auf. Sie wählen sich einen Anführer, sie entfachen ein Signalfeuer, und sie geben sich Regeln. Doch schnell gerät einiges außer Kontrolle, und am Ende regieren das nackte Chaos und rohe Gewalt …
Die düstere Vision des Romans hat vielleicht nichts mit der Realität zu tun, wird aber dramatisch erzählt. Und diese dramatische Erzählung fasst die Comic-Künstlerin in ihrer dickleibigen Graphic Novel eindrucksvoll zusammen.
Aimée de Jongh ist im Programm des Splitter-Verlags schon mit einigen Titeln vertreten, die mir bisher alle gefallen haben. Die Künstlerin ist Jahrgang 1988, wohnt in Rotterdam und hat offenbar keine große Lust, sich auf Genre-Konventionen einzulassen. Ihre Graphic Novels sind erzählerisch wie grafisch von hohem Niveau, und jedes Album unterscheidet sich stark von den bisherigen.
Das ist bei »Herr der Fliegen« nicht anders. Der Comic ist in einem kleineren Format erschienen, vergleichbar den amerikanischen Bänden. Die realistisch anmutenden Darstellungen der Insel, auf der die Kinder stranden, wird durch Gesichter kombiniert, die einen leichten »Funny«-Charakter haben, ohne allerdings lustig zu wirken. Angesichts der Geschichte wäre das auch alles andere als geschickt …
Die Künstlerin schafft es, die unterschiedlichen Kinder optisch klar zu trennen und sie in ihrer Entwicklung zu zeigen. Sie verändern sich während ihres Aufenthalts sowohl optisch als auch charakterlich; sie werden gewissermaßen zu Wilden, die sich von dem ernähren, was sie finden. Die Insel wirkt bedrohlich und phantastisch zugleich; die Angst vor Monstern und Dämonen, die sich im Wald verbergen könnten, bringt die Künstlerin oft zum Ausdruck. (Es lohnt sich, die Leseprobe auf der Internet-Seite des Splitter-Verlags anzuschauen.)
Keine Frage: Schon das Original, also der Roman, ist in seiner Art umwerfend. Die Art und Weise, wie daraus ein Comic wird, finde ich ebenfalls großartig. Mit 352 Seiten ist der Hardcover-Band recht umfangreich ausgefallen; der Preis von 35,00 Euro ist dafür absolut angemessen.
»Herr der Fliegen« in der Version von Aimée de Jongh gibt es überall im Buch- sowie im Comicfachhandel. Die ISBN 978-3-98721-429-5 kann bei einer Bestellung hilfreich sein.
(Diese Rezension veröffentlichte ich im Juli auf der Internet-Seite von PERRY RHODAN. Hier teile ich sie aus dokumentarischen Gründen.)
05 August 2025
Cross Cult wird ein Penguin
Umso verblüffter war ich von der Nachricht, dass der Verlag nun ein »Teil der Penguin Random House Verlagsgruppe« wird, wie es so schön in der Pressemitteilung heißt. Das Kartellamt muss noch seinen Segen zu dieser Übernahme geben, schon klar, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es hier einen Widerspruch gibt. Da hätte es in früheren Jahren andere Möglichkeiten gegeben, der Konzentration im Verlagswesen einen Riegel vorzuschieben.
Nun verschwindet also ein weiterer Verlag mit eigenständigem Science-Fiction- und Fantasy-Programm in einem größeren Konglomerat. Ich mag nicht spekulieren, was das bedeutet; wir werden es ja sehen. Ich hoffe, dass Andreas Mergenthaler gut für sich und sein Team verhandelt hat. Und ich würde mir wünschen, dass der Verlag mit seinem Profil nicht so schnell versuppt …
Historisches Sport-Ereignis als Comic
Bei diesem Marathonlauf traten Männer an, die noch nie über eine so lange Strecke gerannt waren. Die Strecke führte zudem durch teilweise unwegsames Gelände und war schlecht ausgeschildert. Läufer brachen mit inneren Blutungen zusammen, es wurde getrickst und geschummelt. Und es gab eine Reihe von skurrilen Details.
Das alles schildert Kid Toussant, der die Texte für dieses Album schrieb, mit viel Liebe zum Detail und augenzwinkerndem Humor. Mir ist der Autor durch die Serie »Holy Ann« (spiele in New Orleans, hat phantastische Themen) und das großartige Album »Elle(s)« ein Begriff; er kann sehr gut erzählen, und er schafft es, sogar einem Sport-Thema viele lesenswerte Facetten zu entlocken.
Ebenfalls ein Comic-Profi, den ich sehr schätze, ist José-Luis Munuera, der sich als Zeichner sowohl auf den ernsthaften als auch auf den spaßigen Stil versteht. Seine Darstellung des Marathonlaufs arbeitet mit den Mitteln der Karikatur; die Figuren und die Gebäude entnimmt er den historischen Darstellungen, verfremdet sie aber ein bisschen.
Durch die Zusammenarbeit der zwei Comic-Kreativen entstand eine Graphic Novel, die sowohl erzählerisch als auch künstlerisch überzeugt. Sie erzählt augenzwinkernd und mit einer Spur Humor, aber historisch exakt von einem wichtigen Rennen.
Ein sportliches Thema im Comic also – sehr schön!
04 August 2025
Mein erster Superheld
Diese Figur hatte ich völlig verdrängt. Dieser Tage las ich in einer etwas älteren Ausgabe der immer empfehlenswerten Zeitschrift »Die Sprechblase« – es war die Ausgabe 249, die im August 2024 veröffentlicht wurde – einen Artikel über die Figur des Jerom, die der Zeichner Willy Vandersteen bereits in den fünfziger Jahren entwickelte.
Und während ich diesen Artikel las und die Bilder anguckte, fiel mir auf: Ich kannte diese Figur, ich erinnerte mich an meine Kindheit und an die Lektüre der »Wastl«-Geschichten. So hieß Jerome schließlich in der deutschen Übersetzung.
Irgendwelche Details kamen mir nicht in den Sinn. Die »Wastl«-Hefte waren in einem tiefen Winkel meines Hirns versteckt gewesen. Ich nehme an, dass ich sie in den frühen 70er-Jahren in die Finger bekam; einige Klassenkameraden durften Comic-Hefte besitzen, ich lange Zeit nicht. Und so lasen wir in der Schule unter anderem Hefte wie »Felix«, den ich ebenfalls verdrängt hatte, und »Wastl«.
Ich gestehe, dass ich nach der Lektüre recherchierte. Wenn ich wollte, könnte ich mir über Ebay einen Packen alter »Wastl«-Hefte besorgen und schauen, warum sie mir vor fünfzig Jahren gefallen hatten. Aber ich entschied mich dagegen: Es gibt sicher einen Grund, warum ich diese Hefte so erfolgreich verdrängt hatte. Fast wäre also »Die Sprechblase« schuld daran gewesen, dass ich mir neues Papier in die Wohnung gepackt hätte ...
01 August 2025
Jubiläum mit Nummer acht
Das acht Seiten umfassende Fanzine wurde im Umdruck-Verfahren hergestellt und im Zweispaltensatz getippt. Gedruckt wurden 150 Exemplare; viel mehr konnte man aus den Matrizen auch nicht herausholen.
Das Fanzine enthält extrem viele kleinteilige Meldungen: Wer trifft sich mit wem, wer hat mit wem Kontakt, wer hat wo welchen Text veröffentlicht? Es geht um Fanzines, Clubs und Einzelpersonen; eine Fülle von Namen und Adressen wird genannt. Wenn man das heute liest, kommt man sich wie ein Archäologe vor: Bei vielen Details kann man nur ahnen, was damals eigentlich wirklich gemeint war.
Die Herausgeber verschwanden übrigens bald aus der Fan-Szene. Als ich ab 1979 damit anfing, mich für Fanzines zu interessieren, waren die allesamt weg. Einige der Personen, die genannt werden – etwa Uwe Anton oder Hans-Joachim Alpers – wurden später zu professionellen Autoren, Herausgebern und Übersetzern. Andere wie Kurt S. Denkena blieben der Szene erhalten und publizieren auch heute noch Fanzines.