ENPUNKT-Tagebuch
Es passiert einiges um mich herum, und nicht alles gefällt mir. Vieles fasziniert mich, vieles interessiert mich – und das soll Thema dieses Blogs sein.
31 Juli 2025
Eine echte Dame
Ich fuhr vorsichtig, trotzdem zügig. Mein Interesse, auf der feuchten Straße ins Rutschen zu geraten, war ausgesprochen gering. Auf die Autofahrer rechts und links der Radspur achtete ich noch stärker als sonst; die sahen durch ihre Windschutzscheibe schließlich auch nur eingeschränkt.
Auf einmal war die Frau vor mir. Sie saß in aufrechter Haltung auf einem klassischen Damenfahrrad, ihr geblümtes Kleid vom Regen klamm. Lange blonde Haare fielen ihr in Locken auf den Rücken. Wie sie es schaffte, mit ihren hochhackigen Schuhen auf den Pedalen zu bleiben, war mir ein Rätsel.
Sie balancierte einen Schirm in der rechten Hand, groß und hellblau. Damit schien sie durch den Regen zu schweben, aufrecht und gelassen und ungeachtet der Autos, die rechts und links an ihr vorbeifuhren.
Ich war völlig beeindruckt. So viel Stil in einer Person, so viel Coolness, ohne cool sein zu wollen! Auf einmal fühlte ich mich schmuddelig und vom Regen völlig durchnässt. Wie machte sie das?
Es nutzte nichts, ihr nachzustarren. Es wurde Zeit, dass ich ins Trockene kam und mich umziehen konnte. Mit neuem Elan strampelte ich weiter …
30 Juli 2025
Thunbarone und Sushimeister
Kieffer ist eigentlich »nur« der Besitzer eines Restaurants in Luxemburg, in dem er vorzugsweise heimische Küche und gute Weine anbietet. Wegen seiner Freundin ist er öfter in Paris zu Gast, wo er in »gehobenen Krisen« verkehrt, in diesem Fall beim Bürgermeister der Metropole. Kieffer beginnt dann auch damit, in diesem Mordfall zu ermitteln, und kommt einer Art Verschwörung auf die Spur.
Bei der Lektüre kann es dem Leser durchaus schummerig werden. Der Autor zeichnet nach, wo und wie Fische gefangen werden, welchen Wert vor allem besondere Arten haben und welche Strukturen sich um diese Ware bereits gebildet haben. Man spricht von »Thunbaronen«, zumindest in diesem Roman, die für hochwertigen Thunfisch sorgen – und es wird immer klarer, dass hier einiges nicht mit rechten Dingen zugeht.
Ich fand die Lektüre des Romans höchst unterhaltsam. Sarkastische Blicke auf die gehobene Gesellschaft werden ebenso eingearbeitet wie Kritik an der Art und Weise, wie beispielsweise Fische zu einer Massenware werden – seit dem Siegeszug von Sushi werden die Weltmeere in einem erschreckenden Ausmaß leergefischt. Der Koch aus Luxemburg reist ein bisschen durch Europa, und durch seine Augen bekommen die Leser einiges über die Europäische Union und ihre Regeln vermittelt.
Alles in allem ein sehr unterhaltsamer Roman mit gelegentlichem Hauch von Polit-Thriller! Cool.
29 Juli 2025
Kleine Blaulinge im Schneesturm
Zuletzt las ich den Band 39 der Serie. Alain Jost und Thierry Culliford schrieben »Die Schlümpfe und der Schneesturm«, Alain Maury lieferte die Zeichnungen. Das ist natürlich nicht mehr das Original, kommt ihm aber sehr nahe. Denn neben einer abwechslungsreichen Handlung, die sich vorrangig an junge Leser richtet, vermittelt die Geschichte ja auch eine gewisse Moral – das war bei den Schlümpfen schon früher der Fall.
Wenn viel Schnee fällt, gerät ein Dorf kleiner blauer Wesen in ernsthafte Gefahr: Der Schnee bedeckt die Häuser, Kontakte sind nicht mehr so einfach möglich, und es droht sogar ein Einsturz der Häuser. Man muss zusammenhalten – und das müssen auch die drei Schlümpfe, die der Schnee von den anderen Dörflern abgeschnitten hat.
Wie die Schlümpfe sich im Schnee behaupten, wie die Dreiergruppe dann Freundschaft mit einem einsamen Menschen schließt und wie die anderen Schlümpfe sich aufmachen, um in einem alten Turm ihre Zuflucht zu finden, das ist alles schön erzählt und gut gezeichnet. Der Band 39 der »Schlümpfe«-Serie muss sich nicht hinter den Klassikern verstecken.
Dass ich die besser finde, liegt eigentlich nur daran, weil in ihnen der Kosmos der Schlümpfe definiert worden ist. Aber sie sind immer noch liebenswert, und die aktuellen Geschichten kann man jederzeit Kindern und junggebliebenen Erwachsenen in die Hand drücken!
28 Juli 2025
Weltenbau in Karlsruhe
Es läuft am 25. und 26. Oktober 2025, also an einem Wochenende, die Gruppe soll klein sein, und es geht vor allem um das große Thema Weltenbau. Daran hapert es bei vielen Romanen und Geschichten schon im Manuskript, leider auch oft bei denen, die veröffentlicht werden.
Dabei konzentriert sich das Seminar nicht auf ein bestimmtes Genre. Ich zitiere: »Ob Liebesroman oder Fantasy-Epos, historischer Krimi oder Zukunftsthriller – jede packende Geschichte braucht eine Welt, die das Drama nicht nur möglich macht, sondern geradezu erzwingt. Selbst realistische Storys, die im Hier und Jetzt spielen, profitieren von Schauplätzen, die das Feuer der Handlung entfachen.«
Da kann ich an keiner Stelle widersprechen, ganz im Gegenteil: Das kann ich alles nur unterstreichen. Informationen dazu gibt es auf der Internet-Seite des Veranstalters, den man bei Fragen eh am besten direkt anschreibt.
25 Juli 2025
Das andere Ufer der Nacht
Sinclair und seine Freunde sind in einem kleinen spanischen Ort, der von einer alten Burg beherrscht wird, zumindest optisch. In dieser Burg wurde zur Zeit der Inquisition gemordet und gefoltert; bis heute gibt es Geschichten und Legenden dazu. Im Ort gibt es zudem ein merkwürdiges Beinhaus, das unsere Helden besichtigen wollen; angeblich gibt es auch einen Übergang zum anderen Ufer der Nacht, was immer das sein soll. Natürlich kommen Sinclair und seine Begleiter auf die Spuren des Mysteriums und können es am Ende lösen.
Das Hörspiel läuft auf zwei Zeitebenen: Sequenzen aus der Zeit der Inquisition wechseln sich ab mit Szenen in der Gegenwart. Vor allem die Vergangenheitsebene fand ich echt brutal; es wird gefoltert und gequält, das alles mit entsprechenden Schreien und sonstigen Geräuschen. Sehr anstrengend, sehr gruselig.
Die Handlung in der Gegenwart war typisch für »John Sinclair«: ein bisschen grobschlächtig (ein Fluss aus Blut, ein Boot aus Menschenknochen), ein bisschen unglaubwürdig (warum haben die Bösewichte immer so seltsame Pläne), aber unterm Strich sehr unterhaltsam. Ab und zu macht mir das einfach richtig Spaß …
24 Juli 2025
Dreimal Hardcore-Kracher
Als ich in der »Alten Hackerei« eintraf, erfuhr ich, dass noch eine Band auf dem Programm stand. An diesem Abend würden mir also drei Bands die Ohren vollballern; ich war gespannt. Aber zuerst war ich damit beschäftigt, Bekannte zu begrüßen und Bier zu trinken. Alte Punk-Kollegen von der Schwäbischen Alb, aus dem Saarland oder aus Heidelberg waren eingetroffen, es gab viel zu reden, weil ich einige seit Jahren nicht mehr gesehen hatte.
Dann standen Agrotoxico auf der Bühne. Ich kannte die brasilianische Band nur von ihren Platten her; das war mir eigentlich zu metallisch. Auch live herrschte eine starke Metal-Kante vor, aber das gefiel mir an diesem Abend sehr gut: Die Band machte keine Pause, verzichtete auf überflüssige Soli und oder Tempowechsel, knallte stattdessen ein Stück nach dem anderen raus, unterbrochen durch sehr kurze Ansagen in englischer Sprache.
Der rasante Sound ging sehr gut in die Ohren, es war laut und krachig, und danach war ich mit den Brasilianern versöhnt: Diese Art von Metal-Punk mag ich nicht jeden Tag hören, wirklich nicht, aber ab und zu lasse ich mir davon doch gern die Ohren putzen.
Channel 3 sind eine Band aus Kalifornien, die es seit den frühen 80er-Jahren gibt und die ich vor einigen Jahren schon einmal in der »Alten Hackerei« gesehen hatte. Auch an diesem Abend wussten sie zu überzeugen: Die Stücke kamen druckvoll und knallig rüber, schneller Hardcore kalifornischer Prägung eben, der auch einen tüchtigen Schuss Melodie enthielt.
Gespielt wurden Songs aus der frühen Periode, aber auch einige Stücke, die ich noch nicht kannte. Das war schon alles sehr gut und hätte normalerweise für einen großartigen Abend ausgereicht.
Aber dann kletterten D.I. auf die Bühne, die ich irgendwann in den späten 80er-Jahren in Pforzheim gesehen hatte. Seither sind nicht nur die Bandmitglieder über 35 Jahre älter geworden; ich bin’s ja auch. Trotzdem schafften sie es ohne Probleme, das Feuer zu entzünden.
Mit unglaublicher Energie pfefferten die Kalifornier einen 80er-Jahre-Hit nach dem anderen in das euphorisierte Publikum. Die Hitze im Raum stieg; man schwitzte schon vom Herumstehen. Und weil ich eh schon verschwitzt war, fing ich irgendwann an, ein wenig durch den Raum zu hüpfen. Alle um mich herum tobten und sprangen, lachten und sangen mit, ein einziger Mob aus grinsenden Gesichtern.
Am Ende war ich verschwitzt, hatte sicher den einen oder anderen blauen Fleck mehr, war aber insgesamt in bester Laune. Vor der Tür redete ich noch mit einigen Leuten, dieser Abend war eh wieder ein Punkrock-Familientreffen. Als ich gegen Mitternacht durch die Nacht von Karlsruhe flitzte, hatte ich während der ganzen Fahrt ein breites Grinsen im Gesicht und Hardcore-Punk im Ohr …
(Das Bild zeigt Channel 3. Bei D.I. konnte und wollte ich nicht mehr fotografieren. In den Kommentaren verlinke ich auf Videos, die Kalle Stille ins Netz gestellt hat.)
23 Juli 2025
Zynischer Blick auf die nahe Zukunft
Der Roman wurde 2004 geschrieben und kam 2005 in deutscher Sprache heraus – der Heyne-Verlag veröffentlichte ihn als großformatiges Paperback. Das ist jetzt zwanzig Jahre her. Und zwei entscheidende Veränderungen in dieser Zeit hatte der Autor beim Verfassen nicht auf dem Schirm: Social Media und Smartphones. Sein Roman ist atemlos und spannend, aber die Kommunikation ist auf dem Stand der frühen Nuller-Jahre – dabei spielt er um 2050 herum.
Morgan greift in seinem Roman die damals noch neue Investment-Branche auf. Junge Banker kämpfen um Erfolg und Geld; diese Kämpfe werden auch körperlich ausgetragen – man liefert sich mörderische Rennen auf den Autobahnen, bei denen es häufig Tote gibt. Das passt zum Konzept: Die Banken spekulieren auf Kriege und Erfolge, ihre Mitarbeiter steuern Rebellen und Regierungstruppen, sie heuern Killern an und belügen die Öffentlichkeit.
»Profit« ist ein rasanter Roman, einer von der Sorte, die einen nicht mehr loslässt, wenn man einmal damit angefangen hat. Der Autor bleibt immer eng an seiner Hauptfigur, deren Handlungen stets nachvollziehbar sind, auch wenn man sie nicht gut finden wird. Es gibt recht viel Gewalt und Brutalität, an Sex wird ebenfalls nicht gespart.
Im Prinzip ist es ein Thriller, der sehr filmisch erzählt wird und bei dem die Science-Fiction-Elemente wie Versatzstücke wirken. Kein Wunder, dass der Roman als Thriller und nicht als Science Fiction veröffentlicht wurde.
Ich habe mich bei der Lektüre nicht gelangweilt. Empfehlen würde ich den Roman trotzdem nicht – er ist gewissermaßen aus der Zeit gefallen ...
22 Juli 2025
IndiePop im Kohi
Ich bezahlte brav meinen Mitgliedsbeitrag – beim »Kohi« entrichtet man keinen Eintritt, sondern tritt für einen gewissen Zeitraum einem Verein bei –, holte mir an der Theke ein Bier und betrat den Konzertraum, der angenehm gefüllt war: Vielleicht fünfzig Leute hatten sich eingefunden, im Verlauf des Abends wurden es etwa hundert. Ich war nie gut im Schätzen, mochte es an diesem Abend aber sehr, dass alles so angenehm war.
Gut fand ich auch, wie jung das Publikum war: Die meisten schienen anfangs oder Mitte der zwanzig zu sein. Entsprechend wenige Leute kannte ich.
Die erste Band hatte sich den hübschen Namen The Krimis verpasst und kam aus Stuttgart. Der Sänger trug Schnauzer und Krawatte und hatte einen angenehmen schwäbischen Akzent. Musikalisch gab es etwas, das ich irgendwie zwischen Punk und IndieRock der 80e-Jahre einsortieren konnte. Die Ansagen waren witzig, die Musik erwies sich als abwechslungsreich, die englischsprachigen Stücke klangen sehr sympathisch. Ich kaufte mir hinterher gleich die EP, die es von der Band bereits gibt; eine »große Platte« ist noch in Arbeit.
The Rolacas waren aus Karlsruhe und machten im Prinzip Gitarren-Pop, wie man ihn in den 80er-Jahren ebenfalls gespielt hatte. Die englischsprachigen Stücke hatten einen Hang zur Melancholie; dem gegenüber stand das sympathische Grinsen, das die Band nicht aus dem Gesicht bekam. Mir war’s manchmal zu poppig und zu ruhig, aber unterm Strich legte die Band einen sehr gelungenen Auftritt hin.
Danach lungerte ich eine Weile vor der Tür herum. Es war eine laue Sommernacht, und ich hielt mich am Werderplatz auf. Da musste ich einfach nur ein bisschen herumstehen, und es kamen Leute vorbei, die ich kannte und mochte und mit denen ich plaudern und noch ein Bier trinken konnte. Trotzdem war ich vor Mitternacht wieder in der heimatlichen Weststadt, wo ich bei einem Gartenfest strandete. Das aber ist dann eine ganz andere Geschichte …
(Das Bild zeigt The Krims aus Stuttgart. Ich machte an diesem Abend genau ein Foto, das hier; ich halte nichts davon, stundenlang mit der Kamera oder dem Smartphone dazustehen und zu knipsen.)
21 Juli 2025
Ein Interview mit Lärm
Man regt sich nicht also über die Tatsache auf, dass die AfD-Chefin in einem Medium ihren Unsinn verbreiten darf, das sie nach einer Machtergreifung mit hoher Wahrscheinlichkeit »abwickeln« oder sonstwie negativ verändern würde. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist eines der Feindbilder Rechtsradikalen – dass dieses Fernsehen diesen Leuten dann immer wieder eine Bühne gibt, ist mir schleierhaft.
Der Versuch, dieses Interview zu stören, mag nicht hundertprozentig demokratisch sein. Ein höflicher Austausch von Argumenten ist das nicht. Aber man kann die erbitterten Feinde der Demokratie nicht dadurch bekämpfen, indem man sie umarmt und ihnen eine wunderbare Bühne zur Verfügung stellt!
Die AfD will die Republik verändern, sie will demokratische Prinzipien aushebeln und vertritt ein rassistisches Gedankengut. Mit solchen Leuten redet man nicht – solche Leute müssen gestört werden, wenn sie auftreten. Wer das nicht kapiert und die Demonstranten nun so stark kritisiert, spielt das Spiel der Rechtsradikalen.
18 Juli 2025
Auf der Zitadelle
Ich saß im Schatten eines Baumes und ruhte mich ein wenig aus. Die Zitadelle von Rethymno, einer Stadt auf Kreta, war durchaus interessant, und ich hatte mir das Bauwerk bereits zum größten Teil angesehen. Aber es war vielleicht keine gute Idee gewesen, die Besichtigung am frühen Nachmittag zu unternehmen, wenn die Sonne am höchsten stand. Also saß ich da, trank Wasser und genoss den frischen Luftzug im Schatten.
Auf einmal trat eine Frau auf den Mann zu; sie kam aus dem Häuschen, das in wenigen Metern Entfernung die Toiletten enthielt. »Wie siehst denn du aus?«, fragte sie laut auf deutsch und zeigte auf die Vorderseite seines T-Shirts.
Er sah an sich hinunter. In der Tat wirkte sein Hemd von vorne, als hätte er sich großmaßstäblich eingekleckert. »Ich habe die Wasserflasche nicht richtig aufgemacht und mir einen halben Liter neben das Gesicht geschüttet.«
Sie schüttelte den Kopf. »Wie blöd kann man denn sein? Hast du verlernt, richtig zu trinken?«
Die beiden redeten laut und ungeniert miteinander. Vielleicht kamen sie nicht einmal auf die Idee, jemand könnte sie auf Kreta verstehen, oder es war ihnen schlicht egal, dass ich zuhörte.
»Komm jetzt!«, sagte sie barsch. »Wir schauen uns die Anlage an. Da stört sich niemand an deinem Aussehen, sind ja nur alte Steine hier.«
Er erhob sich. »Ist doch nur Wasser«, sagte er lahm.
»Zu blöde zum Trinken und dann auch noch Ausreden finden!« Theatralisch warf sie die Arme in die Luft. »Warum habe ich so einen dummen Mann geheiratet? Das gibt es doch nicht.« Sie ging an mir vorbei, ohne mich zu beachten, und schlug den Weg zum Zentrum der Zitadelle ein.
»Das liegt an meinem guten Aussehen«, behauptete der Mann. Schwerfällig erhob er sich, nahm einen Rucksack auf, der neben ihm gelegen hatte, und folgte ihr.
Ich sah den beiden fasziniert nach. Sie schimpfte ununterbrochen über ihn, er gab maulige Antworten. Irgendwie schienen sie sich gut zu verstehen. Während ich einen Schluck aus meiner Wasserflasche nahm, wünsche ich ihnen in Gedanken einen schönen Aufenthalt in der Zitadelle.
17 Juli 2025
Monsieur Velo in Avepozo
Man hatte mir gesagt, »Chez Alice« in Avepozo sei ein guter Endpunkt für die Reise; dort würden sich viele Leute einfinden, die durch die Sahara und die Sahelzone gefahren waren. Ich erreichte das Lokal, das sich als »Bar au Rendez-Vous« bezeichnete, und wurde in einer sprachlichen Mixtur aus Französisch und Schweizerdeutsch empfangen.
Und weil ich mit einem klapprigen Rad angekommen war, bekam ich gleich den Spitznamen »Monsieur Velo«. Diesen Namen behielt ich in den folgenden Wochen.
Als »Monsieur Velo« wurde ich im Dorf bekannt, und wenn ich mit meinem Rad in die Stadt fuhr, riefen mir Leute auf der Straße den Namen zu. Vielleicht hielten sie mich einfach für bekloppt, vielleicht fanden sie es skurril, mit welchem Fahrzeug ich es von Mitteleuropa bis an die Küste von Westafrika geschafft hatte, irgendwie zumindest.
Für einige Wochen war Avepozo mein Zuhause, und ich liebte es, dort zu sein. Dank meines Rads war ich unabhängig und konnte abends auch mal das eine oder andere Bier trinken – aber das sind dann andere Geschichten …
16 Juli 2025
Politisch, gesellschaftlich, lesenswert
Mit dem Sachbuch »Im Grunde gut« legt der niederländische Autor, Journalist und Historiker Rutger Bregman ein Werk vor, das eigentlich das Gegenteil postuliert: So schlimm sind die Menschen gar nicht, wie viele immer glauben. Im Grunde, so der Tenor des lesenswerten und unterhaltsamen Sachbuchs, ist der Mensch gut, viel besser als sein Ruf. Wir leben in einer Welt, die viele positive Elemente aufweist, und sollten uns von den negativen Einflüssen nicht verwirren lassen.
Was im ersten Moment wie albernes Hippie-Geschwafel klingt, wird von Bregman durch zahlreiche Beispiele aus der Geschichte begründet. In der Not halten Menschen auffallend oft zusammen; in Kriegen schießen Soldaten absichtlich daneben; viele historische »Belege« für menschliches Fehlversagen kann man heute ganz anders beurteilen. Und Belege für besonders schreckliches menschliches Verhalten beschreibt Bregman in Einzelfällen sogar als erfunden oder zumindest sehr subjektiv eingefärbt.
Der Autor ist kein naiver Trottel, und er hält auch seine Leser nicht für naiv. Aber seine Belege weisen nach, dass man viele Dinge auf der Erde anders beurteilen kann. Sie zeigen zudem, wie verzerrt das Bild von der Welt ist, dass die Medien ständig zeichnen. Warum das so ist und welche Mechanismen dahinter stecken, erzählt Bregman ebenfalls.
»Im Grunde gut« ist ein erzählendes Sachbuch; es flutscht geradezu bei der Lektüre. Ein sehr umfangreiches Quellenverzeichnis führt zu weiteren Büchern und Artikeln, wo man sich – wenn das Interesse besteht – tiefer und gründlicher informieren kann. Mit seinem geschichtlichen, politischen und gesellschaftlichen Ritt durch die Jahrtausende ist dem Autor auf jeden Fall ein Werk gelungen, das ich nur empfehlen kann.
Starke, unterhaltsame und aufmunternde Lektüre! Genau das, was man in diesen so düster wirkenden Zeiten brauchen kann ...
15 Juli 2025
Jane Austen mit Manga-Einfluss
Die Geschichte ist ja allgemein bekannt; wer sie nicht kennt, möge sie in der Wikipedia ausführlich nachlesen. Elizabeth Bennet wächst mit ihren Schwestern in einem englischen Herrenhaus auf; sie alle haben in der höfischen Welt des neunzehnten Jahrhunderts nur eines im Sinn: einen möglichst vermögenden Mann zu heiraten, um dann eine treue und brave Ehefrau zu werden.
Elizabeth, die ihre Nase zu oft in Bücher gesteckt hat, ist allerdings selbstbewusst und träumt von der Liebe; sie will nicht des Geldes wegen heiraten, sondern möchte ihren Gefühlen folgen. Doch ausgerechnet der so schroff wirkende Mr. Darcy wird zu ihrem Alptraum ...
Jane Austen schildert in ihrem Roman sehr klar die gesellschaftlichen Zusammenhänge und Belastungen des 19. Jahrhunderts. Dank ihrer Hauptfigur kann sie sich zugleich einen ironischen Blick auf die Gesellschaft erlauben; am Ende siegt ja trotzdem die große Liebe, und alles ist so, wie es gesellschaftlich gewünscht ist.
Die Graphic Novel schafft es, den umfangreichen Roman gut zu raffen. Soweit ich das überblicken kann, sind die wesentlichen Handlungselemente allesamt enthalten und werden entsprechend unterhaltsam vermittelt. Der Handlung kann man so jederzeit folgen.
Bei der Optik geht Aurore einen Weg, der durchaus spannend ist: Während die Gebäude, die Räumlichkeiten und auch die Kleidung der Figuren eher an frankobelgische Abenteuer-Comics erinnern, wirken die Gesichter so, als stammten sie aus einem Manga. Die Augen sind für meinen Geschmack zu groß, der gesamte Ausdruck der Figuren ist für mich nicht stimmig.
Ich könnte mir gut vorstellen, dass genau das viele Leute toll finden. Letztlich ist das eine Frage des Geschmacks: Ich kann mich mit einem Stil, der Manga-Einflüsse mit englischen Adelshäusern verbindet, nicht anfreunden. Das mögen viele anders sehen – ich empfehle daher unbedingt das Betrachten der Leseprobe.
14 Juli 2025
Am Hattenkellenhohl
Das mit der flachen Stadt ist allerdings ein Irrtum, was immer dann festzustellen ist, wenn man hinter Durlach oder Grötzingen in den Wald kommt. Es ist eben doch ein Randgebiet des Schwarzwalds. Am Samstag gelangte ich zum ersten Mal in meinem Leben auf eine Straße, die den hübschen Namen Hattenkellenhohl trägt.
Sie erwies sich als geteert, und eigentlich konnte ich nach den letzten Häusern von Grötzingen gut auf ihr radeln. Es lag ein bisschen Unrat auf ihr herum, Berge von altem Laub und irgendwelche Äste und Zweige – aber ich kam gut voran. Allerdings benötigte ich alle Gänge meines Fahrrads: Die Straße war am Anfang moderat steil und wurde dann immer steiler.
Ich war ziemlich verschwitzt, als ich nach gerade mal einem Kilometer oben ankam. Dort aber war es dann sehr angenehm – und beim Riesenstuhl konnte ich mich mit Brom- und Himbeeren stärken, die an über mannshohen Hecken wuchsen …
11 Juli 2025
Dreißig Jahre nach Srebrenica
Der Massenmord an über 8000 Zivilisten, der buchstäblich unter den Augen der UN-Truppen verübt wurde, machte mich damals fassungslos. Wie konnte das geschehen, und warum wurde das nicht verhindert? Bis heute sind die Überlebenden traumatisiert, während die meisten Täter ohne Probleme in ihr vorheriges Leben zurückkehren konnten.
Dank der zähen Arbeit von Menschenrechtsorganisationen konnten wenigstes einige der Täter vor Gericht gestellt werden. Es gibt mittlerweile Denkmäler, die an das Gemetzel erinnern, und viele der Toten haben ein Grab erhalten. Das ändert nichts an den schrecklichen Taten, aber es sorgt vielleicht dafür, dass sie nicht ganz vergessen werden.
Ich bin sicher, dass die meisten Leute nicht mehr wissen, was Srebrenica war. Die aktuellen Kriege im Nahen Osten oder in der Ukraine verdrängen viele andere Themen – etwa den Krieg in Sudan –, was dazu führt, dass auch ältere Themen schlicht vergesse und verdrängt werden.
Dabei ist das Gedenken an Srebrenica immer noch wichtig: Mitten in Europa gab es damals einen brutalen Krieg mit zahlreichen Vergewaltigungen, Morden und ethnischen Säuberungen. Wenn so etwas nie wieder vorkommen soll, muss man ab und zu an das Geschehen von damals erinnern …
10 Juli 2025
Hübsches Dorf an der Küste
Das Dorf hieß Panormo und gefiel mir gut. Zwar war es teilweise auf Touristen ausgerichtet, was sich in englischsprachigen Schildern oder Speisekarten in deutscher und englischer Sprache zeigte, aber es sah so aus, als ob dort vor allem »ganz nomale Leute« ihrem Tagwerk nachgingen.
An einem kleinen Hafen mit ebensolchem Strand konnte man gut sitzen, etwas essen und trinken und der Dorfjugend zuschauen, wie sie im Wasser herumalberte. In Strandnähe gab es verschiedene Bars und Restaurants zur Auswahl, alle eher bescheiden, aber nett aussehend. Zwar wurde beim Hafen sogar ein historischer Ort ausgelobt – die Reste einer alten Festung –, aber dieser erwies sich als ein Stück Mauer, vor dem offensichtlich häufig Dosenbier und anderes getrunken wurde.
Mir gefiel Panormo. In den schmalen Straßen und Gassen fand ich mich schnell zurecht, und es war erstaunlich wenig los. Zumindest an den Tagen, an denen ich den Ort besuchte, wirkte er nicht so, als werde er von Touristen – wie ich ja einer war – völlig überrannt. Sehr angenehm!
09 Juli 2025
Dampfkessel
Ich stellte mein Rad auf dem Platz zwischen Kirche und Theater ab und betrat das mehrstöckige Haus. Als ich dann die Tür zum Kieser-Training aufdrückte, entwich mir ein erleichterter Seufzer: Die Klimaanlage lief. Das hieß: Ich würde zwar schwitzen, aber es war nicht so heiß.
Als ich in meinen Trainingsklamotten und miz meinem Trainingsplan die erste Maschine ansteuerte, sah ich, dass es tatsächlich ein bisschen regnete. Es sah aus wie der Tropfen auf dem heißen Stein: Wenn die Tropfen auf den Asphalt trafen, verdampften sie sofort.
»Wir lüften!«, rief eine der jungen Frauen, die an diesem Tag im Studio arbeiteten. Sie riss die Fenster zum Platz auf. Die andere Frau lief los und öffnete die Tür zum Innenhof.
Ich wollte schon aufspringen und sie warnen, ließ es aber sein. Es gab genug alte weiße Männer, die ständig junge Frauen belehrten; da wollte ich in diesem Moment nicht dazu gehören. Stattdessen ging ich auf die Maschine und begann mit der Beinpresse.
Vielleicht hätte ich doch etwas sagen sollen, dachte ich wenige Sekunden später. Innerhalb kurzer Zeit verwandelte sich die anfangs so kühle und angenehm trockene Luft in die feuchte Schwüle, die auch außerhalb herrschte. Ich kam mir vor, als sitze ich am Rand eines Dampfkessels oder auch schon einige Zentimeter weit drin.
Aber ich sagte weiterhin nichts. Und darauf war ich dann doch ein bisschen stolz …
08 Juli 2025
Originelle Fantasy aus dem magischen Kairo
Clark hat ein eigenes Phantastik-Universum erschaffen, das eine Parallelwelt-Historie mit phantastischen Einflüssen verbindet. Schauplatz der Erzählungen ist Kairo zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts: ohne europäische Kolonialmächte, dafür aber mit dem Einfluss von Zauberei und allerlei magischen Wesen.
Wer möchte, kann die beiden Erzählungen auch als phantastische Kriminalerzählungen betrachten. Beides Mal geht es um Beamte, die unheimliche Fälle aufklären müssen.
Die allerdings haben es in sich: In der Titelgeschichte geht es um einen Spuk, der einen Straßenbahnwagen angegriffen hat und diesen nun »bewohnt«. Beamte aus dem Ministerium für Alchemie, Zauberei und übernatürliche Wesen müssen sich darum kümmern. Während sie versuchen, erst einmal herauszufinden, um was es sich bei diesem Spuk eigentlich handelt, bewegen sie sich durch das quirlige Kairo des Jahres 1912, verhandeln mit Geheimagenten und treffen Lebewesen aus Blech … vor dem Leser entfaltet sich so das Panorama eines wunderbaren und originellen Universums.
Auch die Kurzgeschichte »Ein toter Dschinn« hat Polizisten des genannten Ministeriums als Hauptfiguren. In einer Welt, in der Dschinns zum Alltag gehören, ist es besonders knifflig, einen Mord an einem dieser Wesen aufzuklären. Vor allem, wenn auch noch mörderische Ghule und der Durchgang in ein anderes Universum eine wesentliche Rolle spielen …
Beide Erzählungen sind sehr gelungen. Als Leser taucht man in eine magische Welt ein, die einem als selbstverständlich präsentiert wird. Für europäische Leser ist der islamische Hintergrund zudem spannend; das ist eine andere Art von Fantasy als der »Mainstream« dieser Literaturgattung, der sich vorrangig aus der keltischen und germanischen Sagenwelt speist.
Clark schildert seine Figuren ebenso glaubhaft wie die Welt, durch die sie sich bewegen. Er präsentiert Kairo als eine Stadt, in der es längst moderne Technik gibt – die Luftbahnwagen gehören ebenso dazu wie die Metallwesen, also Roboter, die immer wieder auftauchen –, die aber von magischen Einflüssen durchzogen ist. Daneben zeigt er Frauen, die ihre Rechte einfordern, und Beamte, die sich mit der Bürokratie herumschlagen – es ist also keine Fantasy, die in der Vergangenheit schwelgt, sondern eine, die ein fiktives Universum erfindet.
Beide Erzählungen sind absolut lesenswert und machen auf das weitere Werk des Schriftstellers neugierig. Wer ungewöhnliche Fantasy mag, sollte zugreifen!
Das mit 176 Seiten schmale, aber schön gestaltete Taschenbuch gibt’s für 14,00 Euro überall im Buchhandel und bei allen Versendern, etwa dem PERRY RHODAN-OnlineShop. Die ISBN 978-3-98666-443-5 kann dabei behilflich sein. Wer das E-Book bevorzugt, wird ebenfalls bei allen relevanten Shops fündig – es kostet 9,99 Euro.
(Diese Rezension veröffentlichte ich im Juni auf der PERRY RHODAN-Seite. Hier teile ich sie der Vollständigkeit halber.)
07 Juli 2025
Phantastisches Bilderbuch
Der Reihe nach: Die Geschichte spielt auf dem Mond, der zwar weitestgehend so aussieht wie in Wirklichkeit, aber einen wichtigen Unterschied aufweist. Jemand hat ein Gebäude auf dem Mond errichtet, in dem sich ein Schalter befindet.
An diesem Schalter sitzt ein alter Mann und arbeitet tagaus, tagein. Schnell wird klar, dass er einem Beamten oder kommunalen Angestellten ähnelt. Der alte Mann sammelt das ein, was Menschen auf der Erde nicht mehr brauchen und ablegen – vor allem aber kümmert er sich um Träume.
Diese sammelt er akribisch. Er geht sorgsam mit ihnen um, er verwaltet sie. Er möchte diese Träume und Gedanken vor dem Vergessen bewahren, denn ab und zu kommt jemand in seinen Gedanken zu ihm und möchte sie wieder haben. Die Welt des alten Mannes ist von Ruhe und Beständigkeit geprägt, aber sie verändert sich, als auf einmal ein kleines Mädchen bei ihm auftaucht und nicht mehr verschwindet.
Hartnäckig behält es seinen Platz – und so gibt es nicht nur einen alten Mann auf dem Mond, sondern auch ein kleines Mädchen ...
Beinharte Science-Fiction-Fans haben mit einer solchen Idee vielleicht ihre Probleme, weil sie sich nicht mit den Regeln der Physik und der Astronomie verbinden lässt. Aber mit Wissenschaft und Technik hat dieses phantastische Kinderbuch nichts zu tun. In »Der Hüter des Mondes« geht es um Träume und ihre Wirkungen, und es zeigt letztlich eine zarte Freundschaft, die langsam wächst.
Die Autorin Charlotte Bellière und der Illustrator Ian De Haes wohnen und arbeiten beide in Brüssel. Gemeinsam schufen sie ein Kinderbuch, das eine gelungene Lektüre bietet. Die einfühlsam erzählte Geschichte und die wunderschöne Illustration formen eine Einheit, die über die gesamte Strecke trägt. Die Geschichte ist in erster Linie für Kindern gedact, man kann sich aber auch als Erwachsener auf die Welt und ihre Ideen einlassen.
Erschienen ist das Werk als großformatiger Hardcover-Band im Carl-Auer-Verlag. Das Buch ist 56 Seiten stark und kostet 27,00 Euro. Man kann es mithilfe der ISBN 978-3-96843-052-2 überall im Buchhandel bestellen.
(Diese Rezension wurde bereits im April 2025 auf der Internet-Seite von PERRY RHODAN veröffentlicht. Ich reiche sie hier aus dokumentarischen Gründen nach.)
04 Juli 2025
Sex, Gewalt und Zauberei
Die aktuelle Folge bringt diesmal auch Sex ins Spiel. Keine Sorge – das bleibt harmlos ... Aber man bekommt mit, dass Sex im Spiel ist, und es klingt nicht peinlich. Bei einem Hörspiel kann so ein Thema ja ziemlich »verrutschen«, finde ich. Aber das Team von Zaubermond Audio umschifft diese Klippe ganz erfolgreich.
Mithilfe guter und klar definierter Geräusche werden die zwei Handlungsebenen getrennt. Ohne dass etwas erklärt werden muss, kapiert man als Hörer, was in der heutigen Zeit spielt und was in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Letztlich geht es um die Suche nach einer Alraune, einer mysteriösen Pflanze also, die menschliches Leben in gewisser Weise simuliert – und auch das hat mit Sex zu tun.
»Schiff der verlorenen Seelen«, so der Titel des Hörspiels, ist wieder sehr gelungen. Für »Dorian Hunter«-Fans wird das Serienuniversum erneut erweitert – klasse!
03 Juli 2025
Das Aus für Browser History?
Das macht immer Spaß, weil die beiden das mit viel Freude vermitteln. Es wird viel gelacht, es wird auch mal »Scheiße« gesagt, man bezieht klar Stellung zu gesellschaftlichen Themen, ohne dabei in Parteipolitik zu verfallen, und man vermittelt viele Informationen. In der aktuellen Folge geht es um Kryptowährungen und den Erfolg von Dogecoin, der eigentlich als Witz gedacht war – bis hin zu Elon Musk und seinem DOGE, wie seine »Behörde« im Auftrag von Donald Trump hieß.
Das soll jetzt alles vorbei sein. In der aktuellen Folge erläutern die beiden, dass sie aufhören und es die vorerst letzte Folge ist. Zu den Gründen schweigen sie sich aus: War das Format nicht wirtschaftlich erfolgreich? Gab es internen Druck? Keine Ahnung – das geht mich ja vielleicht auch nichts. Aber dass sie nach einem Jahr und 52 Sendungen so sang- und klanglos aufhören, finde ich schon traurig.
Es gibt die Hoffnung, dass die beiden auf anderem Weg weitermachen können. Dann heißt der Podcast vielleicht nicht mehr Browser History und kommt von einer anderen Firma – aber der Blick in die wilde Geschichte des Internets geht hoffentlich weiter ...
02 Juli 2025
Zierfische und die 90er-Jahre
Meine Geschichte ist leider nicht einmal halb so lustig wie »Zierfische in Händen von Idioten«. Dieser Roman von Manuel Butt, den ich zur Zeit lese, spielt zur selben Zeit wie der meine, also auch im Juni 1996 und während der EM.
Der große Unterschied: Während ich versuche, einigermaßen nachvollziehbar zu erzählen, wie man als Punkrocker in den 90er-Jahren langsam älter und seriöser wurde, während man gleichzeitig versuchte, den »Spirit« alter Tage zu behalten, knallt Manuel Butt in seinem Roman eine irrwitzige Geschichte raus, die mich immer wieder zum Lachen bringt.
Ich gestehe neidlos ein: Der Roman biete großartige Sommerlektüre, und er verfügt über ausreichend anarchistischen Charme. Es geht um Jugendliche, die richtig viel Mist bauen, die sich mit der Polizei anlegen, die ein Auto klauen, die durch die Gegend fahren und eigentlich ziemlich viel ziemlich falsch machen. So kann man über den Juni 1996 also auch schreiben ...
01 Juli 2025
Die Via Canale feierte
Am Wochenende war die Fiesta Via Canale; überall in Karlsruhe waren Stadtteil- und Straßenfeste, aber hier war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich Bekannte treffen konnte. Das war dann ja auch so. Das Bier war kühl, die Temperaturen fühlten sich tropisch an, die Stimmung war bestens.
Ich kam ein bisschen später in die Nordstadt; Taxi Sandanski spielten schon. Die Band ist aus Karlsruhe und Umgebung, man spielt einen Sound, der mit »Balkanbeats« ganz gut umschrieben ist. Es wurde eifrig getanzt, es herrschte gute Stimmung, die Band schunkelte sich durch ihre Stücke.
Die folgende Band hatte ich nicht auf dem Zettel: Obwohl es sie seit einigen Jahren gibt, hatte ich JxP noch nie gesehen. Was dann auf der Bühne auftauchte, hatte auch sonst niemand auf dem Zettel. Zuerst hörte es sich wie HipHop an, dann kam ein Saxophin ins Spiel, wuchtige Gitarren hämmerten, dazu ein rasantes Schlagzeug.
Die junge Band auf der Bühne spielte eine Crossover-Mischung, die direkt aus den 90er-Jahren entlehnt schien. Anklänge von »Body Count« und Refused waren zu hören, dazu kamen quatschige Ansagen und eine insgesamt sehr lockere Art. Das anfangs zaghafte Publikum feierte die Band völlig ab; der rasante Stil-Mix aus Metal, HipHop, Elektro und was auch immer sonst noch zu hören war fesselte Zwölfjährige genauso wie Siebzigjährige.
Das Konzert ging bis Mitternacht. Mitten in einem Wohngebiet ist das auch nicht so üblich ...
Ich trank das eine oder andere Bier. Irgendwann saß ich mit nur noch einer Handvoll Leute auf einem Mäuerchen, alles war schon dunkel, und der Bierstand macht bald zu. Gegen halb zwei Uhr bewegten sich dann mein Rad und ich sehr gemütlich in Richtung Weststadt – bis zum nächsten Fest im Kanalweg!
30 Juni 2025
Am kleinen Bodensee
Derzeit bevorzuge ich eine Runde, die von Karlsruhe aus an den Kleinen Bodensee führt. Das ist, wenn man mal an der Müllsammelstelle vorbeigekommen ist, die meiste Zeit recht schön. Es geht bis vor an den Rhein – kurzer Blick auf den Ölhafen –, dann durch den Auenwald und vorbei an stehenden Gewässern, irgendwann zurück nach Karlsruhe.
Für die Strecke brauche ich etwas über eine Stunde, und ich vermute, dass das auch ein wenig schneller ginge. Ich fahre aber nicht auf Tempo, und irgendwelche Rekorde sind mir völlig egal.
Es ist bei dieser Strecke nicht ratsam, längere Pausen einzulegen und die Natur zu bewundern. Noch haben die Altrheinarme viel Wasser in sich, was bedeutet, dass es von Insekten nur so wimmelt. Auf Stiche kann ich gern verzichten.
Trotzdem freue ich mich immer wieder über den schönen Anblick, der sich bietet. Es ist eben doch ein kleines Naturschutzgebiet, wenngleich es direkt ans Industriegelände anschließt ...
27 Juni 2025
Zehn Tage Kreta
Das Hotel bestand im Prinzip aus zweistöckigen Gebäuen, die sich an einem Hang entlangzogen. Es gab den einen oder anderen Pool, die üblichen Einrichtungen wie Fitness-Raum, Restaurants und Bars. Die einzelnen Ebenen des Hotels waren durch Treppen und Rampen verbunden. Von meinem Zimmer aus hatte ich an die dreißig Möglichkeiten und Varianten, zum Strand zu kommen.
Dort verbrachte ich meine Tage. Ich las viel, ich pennte am hellichten Tag, ich schwamm im wunderbaren Wasser, ich schnorchelte auch ein bisschen. Ein bisschen Sonnenbrand musste wohl sein, ansonsten hielt ich mich im Schatten aus und trug gern am Strand sogar ein T-Shirt.
Ich aß viel, trank guten griechischen Weißwein, nahm sicher zwei Kilo zu. Und weil das dann doch nicht so superspannend war, spazierte ich an zwei Tagen ins Nachbardorf, das gut drei Kilometer entlang war, und fuhr einmal mit dem öffentlichen Nahverkehr in die nächstgelegene Stadt.
Aber das Ziel wurde erreicht: Ich konnte gut ausspannen. Das Programm für die Pfingstferien konnte also umgesetzt werden …
26 Juni 2025
Lobgesang aufs Minestrone
Von unten dröhnte ein Schlagzeug, immer wieder hörte man das Publikum, das tobte und schrie und hüpfte. Eine Metal-Band ließ es ordentlich krachen; das »Substage« zu unseren Füßen war ausverkauft.
Blickte ich geradeaus, sah ich auf das Dach des »Aurum«. Weiß gekleidete Leute standen zwischen Stühlen und Tischen herum, einige DJs liefen sich noch warm; irgendwann würde die Afterwork-Party in eine Techno-Party umgehen, die bereits angekündigt worden war und die dann ein anderes Publikum anziehen würde.
Hätte ich mich umgedreht, hätte ich das Gottesauer Schloss gesehen, das sich praktisch hinter mir erhob. In seinen Räumlichkeiten war unter anderem die Musikschule untergebracht; dort wurden professionelle Musiker ausgebildet – in klassischer Musik natürlich.
Und hätte ich versucht, ein bisschen ums Eck zu gucken, hätte ich auf die »Alte Hackerei« hinunterblicken können. Die kleine Punkrock-Bar, in der ich selbst schon viele Konzerte besucht hatte, die an diesem Abend aber kein Konzert anbot.
Ich liebte es, das »Minestrone« zu besuchen und diese Atmosphäre zu genießen. So viel Musik, so viel Vielfältigkeit! Das war einer der Abende, an denen ich bemerkte, wie gern ich in Karlsruhe lebte …
24 Juni 2025
Scarletts Tragödie zweiter Teil
Die Geschichte setzt sich konsequent fort. Nach dem Bürgerkrieg werden die Verhältnisse in den Südstaaten umgekrempelt. Scarlett will nicht arm sein; also tut sie alles, um an Geld zu kommen. Sie geht sogar eine Ehe mit einem Mann ein, den sie nicht liebt. Und längst treibt der Ku-Klux-Klan sein Unwesen ...
Der Roman fängt eine Zeit ein, die von starken Umbrüchen geprägt ist. Die Menschen versuchen ihre Würde zu behalten, während sich alles um sie ändert. Ihr Standesdünkel ist wichtiger als vieles andere. Schwarze gelten immer noch als Menschen zweiter Wahl, daran hat sich nichts geändert.
Das alles setzt Pierre Alary in eine packende Geschichte um. Er fasst einige hundert Seiten eines Romans in eine Graphic Novel, die wesentliche Elemente rafft, sich auf die wesentlichen Szenen konzentriert und so eine Essenz der Handlung herstellt, die sich echt sehen lassen kann. Sowohl grafisch als auch erzählerisch finde ich das sehr überzeugend.
Auch der zweite Teil von »Vom Winde verweht« ist in der Comic-Version lesenswert. Nicht nur für Leute, die den Roman- oder den Film-Klassiker kennen …
23 Juni 2025
Dreißig Jahre und ein kleines Fest
Vier Bier später war meine Laune wieder super. Bei wunderbarem Abendwetter hatten sich im Gewerbehof, wo seit Juni 1995 der Querfunk sein Studio und seine Büros hat, vielleicht hundert Leute versammelt: Veteranen des Radioprojekts, neue Leute, einige Freunde und Bekannte, eine Heerschar an Kindern, die irgendwie dazu gehörten.
Ich laberte viel. Bei einigen Leuten, die ich teilweise seit acht Jahren nicht mehr gesehen hatte, kam es mir vor, als würden wir eine Unterhaltung aus längst vergangener Zeit nach einer kurzen Unterbrechung einfach fortsetzen. Die jungen Leute von damals hatten teils graue Haare, teils gar keine Haare mehr; leider waren einige der Aktivisten jener Zeit schon gestorben.
Ich sah mir die Büroräume an, stand voller Wehmut vor dem Regal, in dem es natürlich kein ENUNKT-Fach mehr gab, und staunte über den Fußboden im Büro: Der sah immer noch gut aus, dabei war ich bei der Verlegung und dem Abschleifen des Holzbodens im schweißtreibenden Sommer 1995 beteiligt gewesen.
Einige Biere später spielte Orgel Krüger. Ich hatte den Musiker, der sich immer mit einem speziellen Helm und einem Anzug verkleidet, noch nie live gesehen, mochte den Auftritt aber sehr: elektronische Musik, viel Quäken und Quieken von der Orgel, Kunstnebel, der durch die laue Sommerluft waberte – das war großes Kino.
Mit der Nomaden Clique konnte ich nicht so viel anfangen. Die Frau und der Mann rappten sich durch ziemlich clevere deutschsprachige Texte, die mit politischen Inhalten und gut verständlichen Aussagen aufwarteten; die Musik fand ich allerdings – wie eigentlich immer bei Hip Hop – komplett langweilig. Aber mir muss ja nicht alles gefallen.
Irgendwann war es Zeit zu gehen. Als einer der letzten wurde ich aus dem Hof gekehrt. Die Nachbarn wollten ihre Ruhe haben, was ich ja verstehen konnte. (Man kann sich kaum vorstellen, dass in diesem Gelände in den 80er-Jahren Punkrock-Konzerte stattfanden und wir noch in den 90er-Jahren recht krachige Partys feiern konnten. Aber so ändern sich die Zeiten und das Lärmempfinden.)
Ein wunderbarer Abend! Auf die nächsten Jahre und Jahrzehnte des Freien Radios in Karlsruhe!